Tschick und Maik in den Knast?
Ein Experten-Interview

Dies ist eine Abschrift zu unserem Experten-Interview mit dem Professor für Jugendstrafrecht Dr. Henning Müller. Er erklärt mit einfachen Worten, wie Jugendstrafrecht funktioniert. War das Gerichtsurteil in „tschick“ gerecht?
Du findest das Interview mit ihm und Sava auf YouTube und - wenn du einen Account hast - hier auf TikTok.

Maik wird vom Gericht zu Sozialstunden verurteilt – Tschick muss ins Heim. Ist das realistisch? Oder hätte es für die Jungs auch schlimmer ausgehen können?

Sava wendet sich an Dr. Henning Müller. Der Professor lehrt an der Uni Regensburg Kriminologie, Strafrecht und Jugendstrafrecht. Wolfgang Herrndorf hat sich von ihm beraten lassen.

Henning Müller bestätigt, dass die Jugendgerichtsszene realistisch ist. Er erklärt, dass aber jede Gerichtsverhandlung anders abläuft. Denn die Richter gingen auf die Jugendlichen ein und versuchten, sich in die Angeklagten hineinzudenken.

Sava hakt nach. Er will wissen, ob das der Grund sei, warum Maik und Tschick nicht dieselbe Strafe bekommen hätten.

Henning Müller bejaht die Frage. Jeder Jugendliche werde nach seinem Erziehungsbedarf bestraft. Allerdings sei „Strafe“ das falsche Wort. Die korrekte Bezeichnung lautet: Der Jugendliche werde mit einer Maßnahme belegt, die erzieherisch wirken soll.

Sava hakt nach: Es gehe also wirklich nicht um eine Strafe im eigentlichen Sinne?

Henning Müller erklärt: Ja, es ginge nicht darum, vergangenes Verhalten zu bestrafen. Der Richter überlege – anlässlich des Vergehens –, welchen erzieherischen Bedarf der Jugendliche habe. Keinesfalls wolle das Gericht das Leben eines Jugendlichen zerstören – im Gegenteil. Deshalb falle die „Strafe“ immer individuell aus.

Allerdings würden schwere Straftaten – wie zum Beispiel Schlägereien mit Körperverletzungen – durchaus auch mit Freiheitsentzug in einer Jugendarrestanstalt bestraft werden. Besonders dann, wenn der Jugendliche nicht einsichtig sei.

Da Maik und Tschick denken, sie seien nicht strafmündig, fragt Sava, was es damit auf sich habe. Warum sei ausgerechnet 14 Jahre als Grenze festgelegt worden?

Henning Müller erklärt, dass diese Altersgrenze eigentlich willkürlich festgelegt wurde. Aber man habe irgendwo eine Grenze zwischen Kindern und Jugendlichen ziehen müssen. Allerdings werde diese Grenze vor Gericht auch nicht als starr angesehen. Wenn ein Fünfzehnjähriger noch sehr kindlich sein sollte, werde noch geprüft, ob er das Unrecht seiner Tat tatsächlich einsehen könne. Ein anderes Wort für strafmündig sei „verantwortungsreif“.

Sava möchte wissen, ob Kinder unter 14 Jahren dann tun und lassen könnten, was sie wollten?

Nein, erklärt Henning Müller. Das Jugendstrafrecht gelte für sie zwar nicht, aber das Jugendamt schalte sich ein und überlege, was zu tun sei. So biete das Amt zum Beispiel mit Nachdruck „Hilfen zur Erziehung“ an.
Schwere Straftaten könnten dazu führen, dass das Kind in ein Heim müsse.

Sava fragt, ob man mit 18 Jahren automatisch als Erwachsener bestraft werde.

Henning Müller verneint. Auch hier seien die Übergänge fließend.

Es gebe zwar die verschiedenen Stufen:
Unter 14 Jahre = Kind
14–18 Jahre = Jugendlicher
18–20 Jahre = Heranwachsender
21 Jahre = Erwachsener

Dennoch werde auch bei Heranwachsenden noch individuell entschieden, ob das Jugendstrafrecht oder das Erwachsenenstrafrecht angewandt werde.
Ab 21 Jahren gelte dann ohne Einschränkung das Erwachsenenstrafrecht.

Abschließend möchte Sava wissen, wie Henning die Straftaten von Maik und Tschick einstufe. Habe er als Jurist sie sehr schlimm gefunden?

Henning habe die Vergehen von Maik und Tschick nicht so schlimm gefunden – im Vergleich zu Straftaten, die sonst begangen würden. Er vermute, dass die Staatsanwaltschaft hier den Fall sogar eingestellt hätte – gegen die Auflage, freiwillig Arbeitsstunden zu leisten oder ins Heim zu gehen.

Bei weniger schwerwiegenden Straftaten erteilten Richter auch gerne Lese- und Aufsatzaufgaben. Es hätte zum Beispiel sein können, dass Maik und Tschick den Roman „Tschick“ hätten lesen müssen, um dem Gericht nach einigen Wochen einen Aufsatz vorzulegen.

Henning und Sava lachen. Da könne er sich Schlimmeres vorstellen, fügt Sava hinzu.